Erfolgsfaktoren für Transformation der Fahrzeugindustrie
Fachverband stellt aktuelle Studien von Fraunhofer und TU Wien vor
Die Fahrzeugindustrie steht inmitten großer struktureller Herausforderungen, deren Bewältigung entscheidend für die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit in Österreich und Europa ist: Mit dem Beschluss des „Fit-for-55“ Paketes sollen auf dem Weg zur Klimaneutralität ab dem Jahr 2035 nur noch emissionsfreie Neuwagen in der EU zugelassen werden. Der dadurch notwendige kapitalintensive Umbau der OEMs (Original Equipment Manufacturer) und ihrer Zulieferer zu vollständig elektrifizierten Antriebssystemen findet dabei parallel zur anhaltenden digitalen Transformation der Betriebe statt. Neben dieser ohnehin großen Herausforderung muss die Fahrzeugindustrie auch noch die digitale Transformation bewältigen, die einerseits durch Technologien wie Autonomes Fahren, andererseits durch die Digitalisierung der Produktion rasant voranschreitet.
Mit in Summe etwa 40.000 direkten Beschäftigungsverhältnissen kommt der Fahrzeugindustrie in Österreich ein hoher Stellenwert als Innovationstreiber und Garant wertvoller Arbeitsplätze zu. Nach aktueller Studienlage fallen die Zukunftserwartungen für die heimische Branche überwiegend pessimistisch aus. Aufgrund des steigenden globalen Wettbewerbs, schwindender Produktionsvorteile und hoher Kosten des Standorts stellen weitere Auslandsverlagerungen der Produktion und ausbleibende Investitionen auslandsgeführter Unternehmen eine reale Gefahr für den österreichischen Industriestandort dar.
Welche Maßnahmen es braucht, um die strukturellen Transformationen in der österreichischen Fahrzeugindustrie zu bewältigen und mit welchen E-Mobilitäts-Szenarien zu rechnen ist, wurde in den beiden Studien „Transformation der österreichischen Fahrzeugindustrie“ durch die Fraunhofer Austria Research GmbH und „Technologische Analyse und Veränderung der Komponentenkosten elektrifizierter Antriebssysteme bis 2035“ durch die TU Wien, Institut für Fahrzeugantriebe & Automobiltechnik, untersucht.
Studie von Fraunhofer Austria: „Transformation der österreichischen Fahrzeugindustrie“
Ziel der von Fraunhofer Austria durchgeführten Studie „Transformation der österreichischen Fahrzeugindustrie“ ist es, den aktuellen Stand der Transformation der heimischen Fahrzeugindustrie zu untersuchen und Empfehlungen an die Politik für eine aktive Gestaltung des Strukturwandels in Richtung Dekarbonisierung und Digitalisierung abzuleiten.
Die Ergebnisse wurden mithilfe eines multimethodischen Studiendesigns erhoben, basierend auf einer durchgeführten Umfrage, ergänzt durch vertiefende und validierende Expertenworkshops und -befragungen mit führenden Vertretern der österreichischen Fahrzeugindustrie. Anhand eines Datenmodells werden zu erwartende Wertschöpfungs- und Beschäftigungseffekte der Transformation in der österreichischen produzierenden Industrie errechnet, um die abgeleiteten Empfehlungen mit quantitativen Effekten zu hinterlegen.
Nach aktuellen Untersuchungen sowie der empirischen Analyse im Rahmen dieser Studie sind produzierende Unternehmen der österreichischen Fahrzeugindustrie nicht ausreichend auf den Strukturwandel vorbereitet. Vor allem technologische Abhängigkeiten im Umfeld des Verbrennungsmotors bewirken, dass Unternehmen an bestehenden Produktions- und Geschäftsmodellen festhalten, um laufende Erträge nicht zu gefährden. Damit fehlt es der Industrie oftmals an Strategien für Zukunftsinvestitionen im Strukturwandel. Ohne weitere Maßnahmen durch die betroffenen Unternehmen als auch die Politik ist die Wertschöpfung in der Fahrzeugindustrie mittel- bis langfristig gefährdet.
Ein Hauptrisiko stellt der hohe Kapitalaufwand dar, der zur Umstellung von Produktionslinien als auch der Entwicklung neuer Produkte aufgewendet werden muss. Gezeichnet durch zahlreiche Krisen der letzten Jahre besteht die Auffassung, dass Unternehmen nicht über die finanziellen Mittel für notwendige Transformationsschritte verfügen. Ein Vergleich über die österreichischen Ländergrenzen hinaus zeigt, dass in den letzten Jahren in zahlreichen Nachbarstaaten mehrere Förder- und Unterstützungsprogramme ins Leben gerufen wurden. Diese verfolgen primär das Ziel, industrielle Regionen im Ausland für Investitionen zu attraktivieren und Wertschöpfungsketten für die Elektromobilität aufzubauen, um Arbeitsplätze in dieser wichtigen europäischen Industrie zu sichern. Für die österreichische Industrie gilt es im Angesicht dieser Entwicklungen, den Anschluss nicht zu verlieren.
Im Rahmen der Studie wird ein Maßnahmenkatalog zur aktiven Gestaltung der strukturellen Transformation durch die Politik vorgestellt. Nach internationalem Vorbild wird als wirksamste Maßnahme die Einrichtung eines Transformationsfonds identifiziert, um kapitalintensive Veränderungsprozesse in der Industrie anzustoßen und gleichzeitig risikominimierend zu wirken. Weiters nennt der Maßnahmenplan insbesondere die Qualifizierung der Fachkräfte als wesentlichen Punkt, um sich ergebende Chancen zu nutzen und eine positive Beschäftigungsbilanz zu erzielen. Voraussichtlich werden bis zu 10.000 Stellen direkt Beschäftigter im Umfeld des Verbrennungsmotors im Jahr 2035 im Vergleich zum Basisjahr 2020 nicht mehr benötigt oder eine neue Kompetenzausrichtung der Angestellten erfordern. Dies ist nur mit umfangreichen Qualifizierungsmaßnahmen der langjährig Beschäftigten zu realisieren.
Ebenfalls essenziell sind die Senkung der Markteintrittsbarrieren für den Umstieg in neue Geschäftsfelder, ein verstärkter Fokus auf Digitalisierungsmaßnahmen und Industrie 4.0 Technologien, um Lohnnachteile des Standorts auszugleichen, Netzwerkeffekte zwischen Industrie und Forschung sowie eine technologieoffene Förderpolitik, um auf Basis bestehender Kompetenzen in Österreich wettbewerbsfähige Technologien zur Dekarbonisierung des Straßenverkehrs entwickeln zu können.
Die Transformation ist zu stemmen, dafür essenziell ist die Ableitung eines gemeinsamen, mit allen Stakeholdern aus Politik, Industrie, Gewerkschaften, Forschung und Bildungseinrichtungen abgestimmten Vorgehens, um hochqualitative Arbeitsplätze zu sichern und den Industriestandort zu stärken.
Studie der TU Wien: „Technologische Analyse und Veränderung der Komponentenkosten elektrifizierter Antriebssysteme bis 2035“
Die von der TU Wien durchgeführte Studie „Technologische Analyse und Veränderung der Komponentenkosten elektrifizierter Antriebssysteme bis 2035“ liefert einen Einblick in die derzeit wahrscheinliche Entwicklung der österreichischen Fahrzeugindustrie im Rahmen der globalen Mobilitätswende in Richtung alternative Antriebe. Diese Studie soll den Unternehmen der österreichischen Fahrzeugindustrie eine Orientierungshilfe im Transformationsprozess bieten, um diesen bestmöglich zu vollziehen.
Basis dieser Arbeit ist die Methodik aus den Vorgängerstudien E-MAPP und E-MAPP2. Eine Anpassung dieser erlaubte, zusätzlich zu den Personenkraftwagen und leichten Nutzfahrzeugen, auch eine Abschätzung der Stückzahlen und Herstellungskosten für mittlere und schwere Nutzfahrzeuge zu erstellen. Die Ermittlung der Produktionsstückzahlen und Antriebsmixverteilungen für die einzelnen Fahrzeugklassen erfolgte anhand von Recherchen und Expertengesprächen. Mittels einer globalen Marktbetrachtung konnten Referenzfahrzeuge auf Basis der wichtigsten Fahrzeugparameter bestimmt werden, die als Bezugspunkte für die Kostenberechnung dienten. Stückzahlen und Kosten wurden von Mitgliedern des Fachverbands validiert. Unabhängige Studien sowie Entwicklungstätigkeiten von Herstellern ermöglichten die Ableitung eines zukünftigen Trends bei zweirädrigen Kraftfahrzeugen, Traktoren und Automatisiertem Fahren.
Die Recherchen und Kalkulationen ergeben, dass bis 2035 mit einem Anstieg der Verkaufszahlen von Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen zu rechnen ist. Der Anteil elektrifizierter Fahrzeuge erhöht sich insbesondere bei den Personenkraftwagen zukünftig stark, während bei Nutzfahrzeugen ein langsamerer Hochlauf erwartet wird. Hinsichtlich der Herstellungskosten von Fahrzeugen mit klassischen Verbrennungskraftmaschinen ist mit einer geringfügigen Kostensteigerung zu rechnen, wohingegen bei batterieelektrischen und Brennstoffzellenfahrzeugen mit einer Kostensenkung anhand von Skaleneffekten zu rechnen ist. Für die zukünftige Entwicklung von zweirädrigen Kraftfahrzeugen und Traktoren ist eine Fokussierung auf eine Antriebsart auf Grund der vielfältigen Nutzungsbereiche nicht möglich, sodass sich Forschungstätigkeiten über mehrere Alternativen erstrecken. Das Automatisierte Fahren wird zuerst bei den Traktoren und Nutzfahrzeugen serienreif werden, da hier die Total Cost of Ownership (TCO) als treibender Faktor gilt. Bei den Personenkraftwagen wird eine längere Zeitspanne, bis zur Erreichung der Serienreife außerhalb des Premiumsegments erwartet.